Krankheiten sollten geheim gehalten werden, um den Selbstwert der Führungskräfte nicht zu gefährden, findet der Coach Urs R. Bärtschi.
Kontra: Über Erkrankungen sprechen?
Der wahre Grund, weshalb in der Führungsetage nicht über Krankheiten gesprochen werden soll, in der Persönlichkeit von Führungspersonen.
Erfolgsgeschichten gehören zum guten Ton
Viel Arbeit, wenig Schlaf und Dauerstress, so das Leben vieler im Reigen der Erfolgreichen. Seit den 50er Jahren spricht man von Managerkrankheiten und bezieht sich auf die Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems infolge körperlicher und psychischer Überbeanspruchung. Diese werden als Schäden des modernen Lebens in Kauf genommen. Erfolgsgeschichten gehören zum guten Ton, alles andere wäre unmittelbar mit Versagen gleichzusetzen. Und nichts könnte schlimmer sein als das.
Die Scham des Gesichtsverlustes und die Zerstörungskraft im Selbstbild, welche mit diesem Versagen einhergehen, sind zu vernichtend, als dass Führungskräfte über ihre Überforderungen sprechen würden. Sofern diese überhaupt als solche erkannt werden. Eine überhöhte Leistungsbereitschaft wird immer als «Stärke» verkauft. Führungskräfte haben sich längst ein Wording angeeignet, das entsprechend überzeugend vorgetragen wird. Bis hin zum Kollaps oder bis Krankheiten den Menschen stoppen und aus der Bahn werfen. Handelt es sich dabei um «typische» Manager-Erkrankungen, so kann das Gesicht nach aussen gewahrt werden. Es wird vom Umfeld eher mit einer Spur Bewunderung wahrgenommen, dass der oder die so lange leistungsfähig war.
Erfolgreiche Menschen verdrängen
Depressionen, Angststörungen und ähnliche psychische Krankheiten sind durchaus Folgen von Stress, die heute noch negativ gefärbt sind. Der Abstieg verläuft langsam, lange unbemerkt, mit dem Stigma des «es war zu viel für ihn/sie» und wird mit Unfähigkeit gleichgesetzt. Erfolgreiche Menschen reden nicht über ihre Befindlichkeiten, weil sie diese meist nicht als negativ erkennen oder verdrängen, bis sie sich im Krankenhaus wiederfinden. In einem anderen Fall begegnen wir einer Führungsperson, die durchaus realisiert, wie es um sie/ihn steht, aber aus Angst des Gesichtsverlusts und des Verlustes der eigenen Persönlichkeitsbasis, schweigt. Dieser Typus neigt zu einem «überraschenden» Suizid. In beiden Gruppen ist die Angst, die eigenen Persönlichkeitsideale- und Ziele zu verlieren, vorherrschend und handlungsweisend.
Nicht über Krankheiten sprechen, liegt in der Persönlichkeit von Führungspersonen
Auf gar keinen Fall soll jemand bemerken, dass etwas nicht mehr stimmt. Der wahre Grund, weshalb in der Führungsetage nicht über Krankheiten gesprochen wird, liegt in der Persönlichkeit von Führungspersonen. Ich plädiere deshalb für einen Umgang mit dem Thema, der den Betreffenden erlaubt, die Selbstachtung zu erhalten. Und hierzu gehört die Geheimhaltung einer nicht offensichtlichen Erkrankung.
Gerade weil Führungspersönlichkeiten sich häufig selbst gefährden, sollte ein regelmässiges, persönliches Coaching zum Job gehören. Wörter wie Selbstehrlichkeit, Selbsterkenntnis, positive Selbstführung und Achtsamkeit sollten dabei zwingend Eingang finden.
Autor: Urs R. Bärtschi ist Coach und Gründer der Coachingplus GmbH und seit 25 Jahren als Berater und Coach tätig.
Dieser Artikel erschien im HR Today Mai 2018.
Pro: Über Erkrankungen sprechen?
Marc Thurner, Inhaber einer Personalberatungsfirma plädiert dagegen für mehr Transparenz, wenn die Arbeitsleistung durch eine Krankheit beeinträchtigt wird. Hier den Artikel (PDF) lesen.